03. Jan. 2001 Mi.
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Jedesmal, wenn ich mit meiner Mutter auf den Südend-Markt am Steglitzer Damm einkaufen ging,
spendierte sie mir ein Würstchen mit Senf. Auf dem Markt gab es mehrere Stände, die Wiener Würstchen,
Bockwurst und Buletten anboten. Ende der 50er Jahre sollte jedoch eine neue Wurst ihren Siegeszug antreten, die
Curry-Wurst! |
Mein Freund Schmitti erzählte mir eines Tages, daß er mit seiner Mutter am Markt eine
Curry-Wurst gegessen hatte. Auf meine Frage "was ist denn das?", schwärmte er mir von einer Wurst
vor, die mit Tomatenketchup übergossen und danach mit scharfen Gewürzen bestreut, unheimlich gut schmecken
würde. So eine mußte ich unbedingt auch einmal essen.
Inzwischen hatte sich herumgesprochen, daß allabendlich am Markt ein kleiner Marktanhänger
stand, wo es eine Curry-Wurst gab, bei der das Allerbeste die Soße war. Dieser Stand, ein kastenartiger Anhänger
mit einer Achse, gehörte Herbert Krasselt, der am 1. Dezember 1959 mit seiner Curry-Wurst zu einer Legende
in Steglitz und darüber hinaus werden sollte. Einige Tage, nachdem mir mein Freund davon erzählt hatte,
kam ich auch in den Genuß, so eine Wurst zu probieren. Normalerweise standen höchstens drei Leute vor
einer Würstchenbude, aber hier vor dem Stand von Krasselt standen mindestens zehn Leute an, um eine Curry-Wurst
zu essen. Als ich an der Reihe war, und meine erste bestellte, beobachtete ich gespannt, wie diese zubereitet wurde.
Sie war keine normale Bockwurst, sondern eine speziell geformte Wurstmasse ohne Darm.
Aus der großen viereckigen Pfanne kam die Wurst auf ein kleines Papptablett. Dort steckte Herbert Krasselt
jeweils hinten und vorne einen kleinen Holzpieker hinein. Dann griff er zu einer großen Plastikflasche, in
der eine Spezialmischung aus Tomatenketchup und verschiedenen Zutaten war, und nachdem er die Wurst in zwei Teile
geschnitten hatte, übergoß er sie mit Ketchup.
Aus zwei runden Blechdosen, die eine in der linken, die andere in der rechten Hand haltend, schüttete er abschließend
noch Paprika und Currypulver auf die Wurst. Mit den Worten "noch ein Brötchen dazu" überreichte
er mir meine erste Curry-Wurst. An diesem Tage war ich 12 Jahre alt. An den Markttagen schob er den Wagen in die
Karl-Stieler-Straße, um diesen am Abend wieder nach oben zu holen.
Die Qualität von Krasselts Curry-Wurst sprach sich sehr schnell herum. Mindestens eine halbe Stunde bevor,
er die Klappe von seinem Verkaufswagen öffnete, standen die Leute schon wartend davor. Wenn man Pech hatte,
und das kam nicht selten vor, verlangte der Vordermann 10 Curry-Würste, weil zu Hause eine Feier war. Belegte
Platten waren nicht mehr so gefragt, "hol' lieber Curry- Würste von Krasselt, die schmecken besser",
hieß es immer öfter. Krasselts Wagen stand dicht hinter dem geöffneten weißen Holztor schräg
gegenüber der Litfaßsäule. Eine Zeltplane von der Wagenklappe aus über den Holzzaun gelegt,
schützte die Currywurstesser auch bei Regen. Nach dem Genuß der "Scharfen Mahlzeit" warf man
die Papptabletts in den Mülleimer, während die Holzpieker in die Zwischenräume des Holzzaunes gesteckt
wurden.
Ab 1961 verlegte Herbert Krasselt seinen, inzwischen größer gewordenen Anhänger, auf die gegenüberliegende
Straßenseite des Steglitzer Dammes genau vor dem Kino "HÄSI". Inzwischen waren umfangreiche
Umbauten auf dem Markt im Gange. Der Markt wurde überdacht und an ein Wohn- und Geschäftskomplex angeschlossen.
Herbert Krasselt bekam einen festen Imbiss mit Glasfenstern am äußeren Eingang zum Markt. Im Mai 1969
wurde dieser eröffnet. Ich war jetzt 21 Jahre alt und an jedem Wochenende, wenn wir auf dem Weg zu unserer
Diskothek "SWEET BEAT" in der Albrechtstraße waren, stoppten wir kurz bei "Krasselts Imbiss"
um mindestens vier von unseren geliebten Curry- Würsten zu "inhalieren", wie es unter uns hieß.
Ich kann mich noch an eine Episode erinnern, die sich zu dieser Zeit bei Krasselt abspielte. Einer von uns hatte
an diesem Abend kein Geld in der Tasche und während wir uns unsere Würste "einpfiffen", stand
er dabei und das Wasser lief ihm aus dem Mund. Auf einmal kam aus der Runde der Spruch "ich spendiere dir
zwei Curry- Würste, aber nur, wenn ich sie würzen kann" Gesagt, getan. Schnell lagen die Würste
auf dem Pappteller und sämtliche scharfen Gewürze kamen in größeren Mengen dazu. Als I-Tüpfelchen
träufelte der Spendable noch eine viertel Flasche des gerade neu auf den Markt gekommenen Gewürzes "Tabasco"
darauf. Der eingeladene Freund aß die beiden Curry- Würste, ohne mit der Wimper zu zucken. Nur die Tränen,
die ihm dabei aus den Augen strömten, erzählten von seiner Qual, während er schluckte und wir uns
halb totlachten.
Am 1. März 1982 zog sich Herbert Krasselt aus seinem Imbiss zurück. Er übergab das Geschäft
seinen Nachfolgern.
Der Markt existiert schon lange nicht mehr, doch "Krasselts Imbiss", den gibt es noch heute. Obwohl an
fast jeder Ecke Curry- Wurst- Buden zu finden sind, stehen die Leute noch heute in langen Schlangen bei "Krasselts
Imbiss" an.
Die Qualität der Wurst und vor allem die des Ketchups sind immer noch unübertroffen.
Michael Lorenz
Krasselts Imbiß |
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